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Alt 07.12.2025, 09:57
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Mephisto Phoenix Exclusive Edition Novag Constellation Expert

Hallo Schachcomputer-Freunde,

lasst uns gemeinsam eine kleine Zeitreise in das Jahr 1984 machen. Noch immer bestimmte der 6502-Prozessor den Schachcomputer-Markt (bis auf eine Ausnahme Mephisto Glasgow auf Motorola 68000). Die Spielstärke der Spitzenprogramme untereinander war recht ausgeglichen, die Spielstile hingegen wiesen zum Teil große Unterschiede auf.

Die Älteren unter uns werden sich gewiss noch an den Hype erinnern, als der Novag Super Constellation im Herbst des Jahres 1984 auf den Markt kam. Eine ausgedehnte Marketing-Kampagne setzte die Messlatte für das Gerät dann so hoch, dass dieses die Erwartungen dann gar nicht mehr umfänglich erfüllen konnte. Dennoch war das Gerät seinerzeit ein echtes Highlight und der Spielstil, nicht zuletzt wegen der PSH-Algorithmen (scherzhaft als „Passt sicher halbwegs“ übersetzt), begeisterte Schachcomputer-Fans auf der ganzen Welt. Viel Licht und auch Schatten hielten sich in etwa die Waage. Herrliche Angriffs-Partien und ungerechtfertigte Opfer wechselten sich beständig ab. Dennoch waren viele Experten 1984 der Meinung, dass der Super Constellation die Nase in Sachen Spielstärke leicht vorne hatte.

1985 betrat dann der legitime Nachfolger, Novag Constellation Expert, den Schachcomputer-Markt. Ein wunderschönes Holzbrett mit 64 Feld-LED‘s, jedoch ohne Display, zu einem exklusiven Preis, fand dann nicht mehr ganz so viele Anhänger auf seiner Seite. Dies war auch dem Umstand geschuldet, dass Mephisto Amsterdam, basierend auf dem Motorola 68000, alle Konkurrenzgeräte im Jahre 1985 dominierte. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Novag Expert (basierte auch auf dem 6502-Prozessor) eine deutliche Spielstärkesteigerung (ca. 50 Elo-Punkte) gegenüber dem Super Conny zu verzeichnen hatte. Das Programm war zwar seinem Vorgänger in vielen Teilen sehr ähnlich, doch zumindest im positionellen Bereich gab es spürbare Verbesserungen. Die PSH-Algorithmen wurden seitens Dave Kittinger moderat erweitert und allem Anschein nach auch etwas verfeinert. Aufgrund einiger spektakulärer Erfolge im Blitzschach erhielt das Gerät den Spitznamen „Blitz-Monster“.






In unserer aktuellen privaten Turnierschachliste wird das Programm wie folgt eingestuft:

- Novag Constellation Expert, 4-5 MHz 1819 Elo
- Novag Constellation Expert 100 MHz 1998 Elo

Nun gibt es aktuell eine neue Kreation von Ruud, die Mephisto Phoenix Exclusive Edition, auf welcher die Emulation des Novag Constellation Expert mit ungefähr 550-600 MHz läuft! Das ist schon brachial und diese Kombination dürfte es vielleicht auf etwa 2100 Elo in unserer Liste bringen?!
Ich habe mich entschlossen, dieser Emulation sehr viel Zeit zu widmen und umfangreiche Vergleiche damit durchzuführen. Hierbei reizen mich vor allem zu erwartende Erkenntnisse, die umfangreichen PSH-Algorithmen besser zu verstehen und einordnen zu können.

Im Vorfeld habe ich mich ein wenig mit dem Thema PSH auseinandergesetzt. Die meisten von Euch wissen, das PSH für „Pre Scan Heuristics“ steht. Im Programm des Novag Constellation Expert dienen die Algorithmen dazu, mit Hilfe von Stellungsschablonen die Suche selektiv zu steuern, um menschlichere und zum Teil auch aggressivere Züge zu bevorzugen.
Dabei wird versucht an der Wurzel, eine schnelle, positionsorientierte Bewertung möglicher Züge durchzuführen, um diesen Zügen Bonus- oder Maluspunkte zuzuordnen. Das Ergebnis beeinflusst, welche Zweige des Suchbaums die engere, zeitaufwändige selektive Suche erhalten. Dave Kittinger setzte die PSH-Algorithmen in erster Linie deshalb ein, um intuitive und aggressivere Züge zu finden.

Einige von uns werden sich noch daran erinnern, dass man bei den Novag-Programmen (Super Constellation und Constellation Expert) von einem sogenannten „Novag-Effekt“ im Zusammenhang mit der schwedischen Elo-Liste sprach. Im Prinzip ging es darum, dass die benannten Novag-Programme durch Ihre aggressivere Spielweise, vergleichsweise gegen gegen Menschen besser als gegen ihre „Artgenossen“ performten.
Doch kommen wir noch einmal zurück zu den PSH-Algorithmen. Wie bereits erwähnt, haben der Super Constellation und auch der Novag Constellation Expert an der Wurzel eine positionsorientierte Vorselektion der selektiven Suche vorgenommen. Aber was heißt eigentlich an der Wurzel konkret? Bereits vor dem ersten Halbzug, nach dem ersten Halbzug? Ich weiß es nicht und werde versuchen Kontakt mit Dave Kittinger aufzunehmen, um dies zu klären.

Was sind denn nun die Vor- bzw. Nachteile beim Einsatz von PSH-Algorithmen?


Vorteile:


- Menschlicheres, unterhaltsames Spiel

- Vereinzelt spektakuläre Züge, welche durch reines Brute Force-Rechen nicht gefunden werden konnten

- Gegen menschliche Gegner war dies ein psychologischer Vorteil, da Überraschungsmomente erzeugt wurden

- Effizienz auf den seinerzeit schwachen CPU’s (6502). Durch die Vorbewertung rootnaher Züge konnte die teure (zeitaufwändige) vollständige Tiefensuche (Brute Force) auf aussichtsreiche Varianten fokussiert werden. Dies war ein ganz wichtiger Punkt, bei 6502 Hardware mit begrenztem RAM/ROM

- Gute taktische Treffer in bekannten Mustern (Schablonen). Man denke an die Läuferopfer auf h7…Wenn die PSH-Muster mit typische Angriffs- oder Opferthemen übereinstimmten, fand das Gerät schnell, starke praktikable Linien. Die Ausdehnung der PSH-Muster, beispielsweise auf Minoritätsangriffe, könnte die Spielstärke sicher weiter erhöhen!

- Praktische Erfolgserlebnisse: Historische Berichte und Erfahrungen aus Turnierpartien bezeugen, dass der Einsatz von PSH-Algorithmen seinerzeit ernstzunehmende Erfolge aufwies und weit mehr als ein rein theoretisches Konzept darstellte.


Nachteile:

- Selektionsfehler (gute Taktiken werden übersehen). Da PSH die teure Suche (Brute Force) nur auf ausgewählte Zweige anwendete, konnten tiefe, aber feine taktische Wendungen in zunächst unauffälligen Zügen verpasst werden. Sollte es mir gelingen Kontakt mit Dave Kittinger aufzunehmen, werde ich ihn auch befragen, ob es für den Novag Constellation Expert Sinn machen würde, die PSH-Algorithmen vielleicht erst nach dem dritten oder vierten Halbzug Brute-Force-Suche anzuwenden. Man bedenke in diesem Zusammenhang, dass die Emulation des Novag Expert im Mittelspiel ca. drei Halbzüge tiefer als das Originalgerät rechnet, ca. 8 Halbzüge im Mittelspiel dürften damit zu erreichen sein (+ tiefe selektive Spitzen). Falls dies der Fall sein sollte, was sollte Dave Kittinger daran hindern, das Programm daraufhin zu optimieren? 😉

- Heuristik-Übergewicht: In ruhigen, positionsorientierten Stellungen, oder auch in Endspielen verschieben die PSH-Priorisierungen die Bewertung hin zu riskanteren Zügen, was zu suboptimalen Zügen führt. Mal eben die Füße still zu halten, war und ist sicher nicht die Stärke eine Super Conny, bzw. eines Constellation Expert

- Die Abhängigkeit von Muster-Bibliotheken: Der PSH-Algorithmus benötigt gut gestaltete Muster/Tabellen. Fehlerhafte oder zu enge Muster führten zu falschen Bonussen und damit zu schlechten Zugreihenfolgen.

- Schwieriges Tuning: Die Heuristiken sind stark auf das konkrete Gerät (CPU, Speed, Speicher) und das konkrete Programmverhalten abgestimmt. Um so mehr reizt der Gedanke, wenn Dave sein Programm noch einmal nachjustieren könnte…😊

- Eingeschränkte Endspielstärke: Erfahrungen deuten darauf hin, dass Programme mit starker PSH-Ausrichtung eine vergleichsweise schwächere Endspielbehandlung aufweisen, da die Heuristiken primär für die Mittelspiel und Angriffsphasen optimiert waren. Ausnahmen bestätigen die Regel: Man denke beispielsweise an das „Läufer-Springer-Endspiel“, dass sowohl vom Super Conny und auch vom Constellation Expert mit Hilfe den PSH-Algorithmen sehr gut behandelt wurden.


Zusammenfassung:

PSH war ein cleverer Kompromiss für die limitierten Ressourcen der 1980er Jahre. Sie ermöglichten markantes, aggressives Spiel mit einhergehenden praktischen Turniererfolgen. Dabei dienten Stellungsschablonen zur Erkennung von offenen Linien, dem Königsangriff, Figurenaktivität, etc.). Auf der anderen Seite erhöhte sich aber das Risiko, stille taktische Ressourcen zu übersehen, oder in ruhigen Stellungen unangebracht riskant zu spielen.


Wettkampf:

Folgende Vergleichswettkämpfe sind momentan unter Turnierbedingungen mit jeweils 30 Partien geplant:

- Fidelity Kishon Chesster 1880 Elo
- Mephisto Rebell 5.0 1900 Elo
- Mephisto Amsterdam 68000, 12 MHz 1949 Elo
- Mephisto MM IV 1967 Elo
- Novag Zircon II 1976 Elo
- Mephisto Dallas 68000, 12 MHz 1984 Elo
- Mephisto Polgar, 5 MHz 1991 Elo
- Novag Super Expert C, 6 MHz 2013 Elo
- Fidelity Avantgarde V2, 16 MHz 2020 Elo
- Phoenix Revelation II AE Sphinx 40 2027 Elo
- Mephisto Phoenix Glasgow 2034 Elo
- Mephisto Nigel Short 2040 Elo
- Novag Diablo 68000 68000, 16 MHz 2053 Elo
- Mephisto Almeria 68000, 12 MHz 512 KB Hash 2067 Elo
- Mephisto Roma 68020, 14 MHz 2080 Elo
- Mephisto Polgar, 10 MHz 2103 Elo
- Mephisto Lyon 68000, 12 MHz 512 KB Hash 2120 Elo
- Mephisto Milano Pro 2128 Elo
- Mephisto Almeria 68020, 12 MHz, 1024 KB Hash 2150 Elo
- Saitek Risc 2500, 14 MHz, 128 KB Hash 2236 Elo

Auf jeden Fall freue ich mich riesig auf die Wettkämpfe mit dem Novag Constellation Expert unter Mephisto Phoenix, zweite Generation und bin überzeugt davon, dass wir die ein oder andere schönheitspreisverdächtige Partie bewundern dürfen. Eure aktive Teilnahme an dem Projekt würde ich mich sehr freuen. Wenn alles wie geplant verläuft (die Emulation zur Verfügung steht), sollten die Spiele Anfang 2026 beginnen.

PS: Leider ist es mir bis dato noch nicht gelungen Kontakt mit Dave Kittinger aufzunehmen. Wenn mir hier jemand weiterhelfen kann, wäre ich für eine PN sehr dankbar. Es würde mich überraschen wenn Dave nicht interessiert wäre, sein Baby aus dem Jahre 1985, unter der massiven Beschleunigung eines Mephisto Phoenix Exclusive Edition spielen zu sehen.

Gruß
Egbert
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