
Zitat von
Hartmut
Auch in dieser Partie, ähnlich wie in vielen anderen Leela-Partien fällt das gezielt Vorstürmen der Bauern (hier a-, c- und h-Bauer) auf sowie das gezielte Lahmlegen des Damenflügels mit dem Springervorposten b6. Das Thema Einengung und den Gegner zur Bewegungslosigkeit verdammen ist ein Markenzeichen Leelas, das man schon aus einigen Alpha-Zero-Partien kennt.
Und auch in der Partie gegen Rybka ist es ziemlich bemerkenswert was Leela hier abzieht. Material zu geben für den Preis einer Freibauernarmee am Königsflügel. Auch ein Bild dass ich bei Leela schon öfter gesehen habe, wenn auch nicht oft so gut umgesetzt wie hier. Dass eine so starke Engine wie Rybka 2.3.2 (immerhin mit ELO nahe 3000 bei CCRL und CEGT gelistet) gegen das frühe Dg4 im Franzosen ebenfalls kein Rezept findet, welches über ein Kampfremis hinausgeht ist schon bemerkenswert. Vielleicht ist an der Variante doch mehr dran als man bisher glaubt... Das hat sich ja auch bei den AlphaZero-Partien gezeigt, dass man an einigen Eröffnungen vielleicht doch noch so einiges untersuchen kann. Da darf man schon jetzt gespannt sein, was Leela noch so alles auf die Beine stellt. Auf jeden Fall wird es mit Sicherheit in der Eröffnungstheorie noch so einiges an Neuerungen zu entdecken geben...
Vielen Dank für all die tollen und lehrreichen Partien! Das ist schon richtig beeindruckend, wie Leela mittlerweile spielt. Der französischen Verteidigung stand ich schon immer sehr skeptisch gegenüber. Im Spiel Mensch gegen Mensch mit Sicherheit spielbar, da Schwarz konkrete Pläne hat, mit welchen er seine ersten Züge begründet. Jedoch sagt mir mein Gefühl, dass ein Zug wie 1...e6 gegen grundsätzliche Eröffnungsprinzipien verstößt. Der Läufer c8 wird zunächst eingesperrt und Schwarz unterlässt die Möglichkeit des Doppelschritts, womit dieser Bauer direkt im Zentrum steht und wirkt. Wenn man Französisch-Partien die auf hohem Niveau gespielt wurden analysiert, wird dieses Manko in den meisten Fällen irgendwann egalisiert. Es bleibt aber in jeder Partie der Eindruck, dass Schwarz sich mit seinen ersten Zügen "Probleme" schafft, die er anschließend versucht zu korrigieren. Wenn man sich die Statistiken zu Französisch-Partien anschaut, sieht man sehr gut, dass Siege von Schwarz im Durchschnitt sehr lange dauern (viele Züge gespielt) und dies meist auch nur im Endspiel. Partien in welchen Weiß siegt, weisen eine deutlich geringere Zugzahl auf.
Ich glaube auf diesem außerirdischen Niveau auf dem sich die heutigen Weltklasse-Engines befinden, muss von Anfang an jeder Zug sitzen und das Beste aus den Figuren und den Bauern herausgeholt werden.
Es mag ziemlich dogmatisch klingen und vielleicht liege ich mit meiner strikten Einhaltung von Eröffnungsprinzipien am Ende falsch, aber die Mehrzahl der GMs die ich kenne und über Französisch ausgefragt habe geben meiner Sichtweise recht. 1...e6 ist deswegen nicht automatisch 1:0, aber die Partie von Leela zeigt sehr schön, womit Schwarz von Anfang an kämpfen muss und wogegen Weiß sein Spiel richtet.
Das selbe gilt auch für 1...g6 gefolgt von 2...Lg7, was ich selbst viel zu lange gespielt habe. Hier hat mir als erstes IM Belezky gesagt, dass er das als erste Eröffnungszüge nicht für vollwertig hält und kam mit der selben Begründung um die Ecke, wie ich sie bei der französischen Verteidigung habe. g6 + Lg7 ist durchaus in Ordnung, aber zuerst sollte man sich energischer ums Zentrum kümmern.
Im Menschenschach haben wir Ideen und diese basieren darauf, dem Gegner möglichst viele Chancen zu geben, Fehler zu machen. Unserer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und wenn man als Schwarzer mit 1...e6 dem Gegner Probleme bereiten kann und die entstehenden Stellungen aus dem FF kennt und versteht, gelingt das auch im Kampf Mensch gegen Mensch.
Engines sind aber fürchterlich konkret und ich glaube keine noch so kreative Idee von Schwarz im Franzosen hält dem Spiel von Weiß stand, solange es richtig ist, den grundsätzlichen Eröffnungsprinzipien zu folgen.
Ob dies richtig ist, werden wir mit Sicherheit in den nächsten Jahren sehen, wenn die Entwicklung dieses Tempo beibehält.
Gruß
PS:
Ich schreibe hier nur meine Sicht der Dinge und mir ist absolut bewusst, dass es genügend Schachspieler gibt, welche einen komplett anderen Standpunkt vertreten.