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Alt 13.06.2007, 19:18
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Die Patz-Partie des Jahres

Die Patz-Partie des Jahres

Im Forum wurde das Thema ja schon gelegentlich diskutiert, zuletzt von SörenH wieder ins Gespräch gebracht: sollte man wie im Filmbusiness auch im Computerschach einen Oscar verleihen ?

Für Brettcomputer käme dann schon eher ein "Claude" (Shannon) in Betracht - die Frage wäre nur - wofür ?
Best performance - ganze Partie, oder beste Nebenrolle - Glanzkombination oder doch eher was Kurioses - originellster Bug ?

Von mir nominiert für die "goldene Himbeere", d.h. die schlechteste Brettcomputerpartie des Jahres sind das Duo:
Mephisto Teufelchen - Novag Secondo

Was sagt die Jury (Mitglieder der community) zu folgendem (Kunst-) Machwerk ?

FSK: die nachfolgende Partie ist für Elo-Träger über 2000 DWZ nicht geeignet !

Um Mißverständnissen vorzubeugen, die folgende Partie wurde mitnichten auf der einfachsten Blitzstufe gespielt, sondern auf der Aktivschachstufe mit durchschnittlich etwa 30 Sekunden Bedenkzeit.

In der wahrscheinlich schlechtesten Computerschachpartie des Jahres lieferten sich das Teufelchen und Secondo ein Gefecht, das nichts für schwache Nerven war. Schon in der Eröffnung stellte Teufelchen - wie es sich nicht für ein Teufelchen geziemt mit den weißen Steinen - gleich im 4.Zug eine Figur ein. Doch anstatt diese zu kassieren, gab Secondo lieber gleich die Dame her: 1.c4 e5 2.Sc3* Sf6 3. Sf3 e4* 4. Se5? d6 5. Sf7: e3?? 6.SxD !!

Teufelchen(L3)-Secondo(L8)

 abcdefgh 
 8  BR  BN  BB  BK  BK  BB   BR  8 
 7  BP  BP  BP    WN  BP  BP  7 
 6     BP   BN    6 
 5          5 
 4    WP   BP     4 
 3    WN       3 
 2  WP  WP   WP  WP  WP  WP  WP  2 
 1  WR   WB  WQ  WK  WB   WR  1 
 abcdefgh 
 black to move
ChessDiag V1.01 (12-OCT-2002)
5. ...e3??

rnbqkb1r/ppp2Npp/3p1n2/8/2P1p3/2N5/PP1PPPPP/R1BQKB1R b KQkq - 0 1


War ich im falschen Film ?? Spielten die beiden etwa Räuberschach ?

Nach 23 Zügen war Secondo des ungleichen Spiels überdrüssig, statt sich mit Kf5 einem langsamen Siechtum hinzugeben überschritt Secondo tollkühn den Rubikon (hier die Brettmitte) 23. ...Ke4??. Dies ermöglicht Weiß den schwarzen König abzuschneiden und ein dreizügiges Matt mittels...

Teufelchen(L3)-Secondo(L8)

 abcdefgh 
 8       BB   BR  8 
 7     BB    BP  BP  7 
 6  BP    BP   BN    6 
 5          5 
 4    WP   BK     4 
 3        WQ   3 
 2  WP  WP    WP  WP  WP  WP  2 
 1    WK  WR   WB   WR  1 
 abcdefgh 
 white to move
ChessDiag V1.01 (12-OCT-2002)
24. Dg5!! Lg4 25. f3+ Lf3: 26. gf#

5b1r/3b2pp/p2p1n2/8/2P1k3/6Q1/PP2PPPP/2KR1B1R w - - 0 1

24. Dg5!! Lg4 25. f3+ Lf3: 26. gf# hätte man doch sicher gefunden - oder ?
Das Teufelchen - ob in quälerischer Absicht - fand es nicht, verpaßte mit 24. Df3+? das Matt und leitete damit zum nächsten Kapitel über...

Drama 3.Akt:
Nach 27 Zügen ergab sich nun Schwarz keineswegs in sein Schicksal, sondern eine dreifache Zugwiederholung (!!), die Teufelchen nicht erkannte - aber auch Secondo nicht reklamierte. Die Stellungswiederholung 27. Df3+?? hätte indes mit z.B. Da7 leicht vermieden werden können.

Im 42. Zug war Teufelchen dem Ziel nahe: jedoch ach - statt der listigen Hinterstellung 42. Df7!! und der schwarze König kann dem Matt nicht mehr entrinnen, zog das Teufelchen das gierige Schlagen des Springers vor 42. Df2:.

Das war ja noch völlig harmlos, wer gibt nach diesem letzten verzweifelten Schachgebot 42. ...Lc3+ noch einen Pfifferling für Schwarz ?

Nun nähern wir uns dem Höhepunkt der Aktion:
statt mit 43. Kd3 allen Gefahren aus dem Weg zu gehen, versuchte es das ob seines gewaltigen materiellen Vorteils (Dame, Turm + 3 Bauern mehr) total leichtsinnige Teufelchen nun mit dem Hinterstellungsmotiv. Das ging gründlich nach hinten los und stellt einzügig die Dame ein.

Teufelchen(L3)-Secondo(L8)

 abcdefgh 
 8    BR       8 
 7        BP  BP  7 
 6     WR      6 
 5       BK    5 
 4          4 
 3   WP  BB    WP    3 
 2     WK  WP  WQ  WP  WP  2 
 1       WB  WR   1 
 abcdefgh 
 white to move
ChessDiag V1.01 (12-OCT-2002)
43. Kc2?? Le1+ 44. Tc6?? Tc6:+ 45. Kd3 Lf2:

2r5/6pp/3R4/5k2/8/1Pb2P2/3KPQPP/5BR1 w - - 0 1

Kein noch so DWZ-schwacher Mensch käme je auf diesen abwegigen, aberwitzigen Zug: 43. Kc2??
Aber immerhin verfügt das Teufelchen ja über ein stattliches Plus bezüglich des Arsenals...dem kann abgeholfen werden...

Weiter im Takt mit dem absurden Theater:
mit dem Schnapszug 44. Tc6?? stellt das Teufelchen mir nichts dir nichts einen ganzen Turm ein; in dem Bestreben die eigene Dame zu retten ist jedes Mittel recht, auch wenn fast das gesamte Hab und Gut dabei verschleudert wird.
Der Horizonteffekt in Reinkultur !

Glücklicherweise hatte das Teufelchen nicht noch mehr Steine, die er Secondo zum Fraß vorwerfen konnte, in dem Wahn seine Dame noch retten zu können.

Seinen nurmehr kümmerlichen Vorsprung (gerademal 3 Bauern mehr) gefährdet das Teufelchen im 49. Zug Kc5? erneut - aber Secondo nützt dies nicht sofort. Aber die nächste Gelegenheit kommt bestimmt.

Im 61. Zug ist es dann soweit, es wurde ja auch langsam wieder Zeit für einen Riesenbock (einfache Figurenverluste begeistern das kritische Publikum von heute kaum noch): 61. h6?? verdient mal wieder 2 Fragezeichen, 61. ...Tg5:+ und der Turm geht den Jordan hinunter, aber hier war die Lage ohnehin schon prekär für Weiß.

Aber auch nach 100 Zügen werden immer noch Wetten angenommen: wer gewinnt diese Partie, wie geht sie aus ?

Nach 110 Zügen war die Übermacht schier erdrückend - der nackte König sah sich Turm, Läufer und Bauer gegenüber. Überflüssig zu erwähnen, daß es sich dabei um den nackten König des anfangs doch so beleibten Teufelchens (!) handelte.

Im 117. Zug verschmähte Secondo das prosaische Ende: 117. ...Kc2! 118. a3 Ta1#, ihm schwebte ein krönender Abschluß vor.

Nach 160 Zügen hatte es Secondo allerdings immer noch nicht geschafft das Teufelchen matt zu setzen - wieder hatte er ihn nahe am Abgrund, statt des Schlußzuges 160. ...Le1? hätte die Königsannäherung 160. ...Kc2! (auch Kc1!) zum Matt in 2 gereicht: 160. Kc2 Ka1 161. Ta3#

Teufelchen(L3)-Secondo(L8)

 abcdefgh 
 8          8 
 7          7 
 6          6 
 5          5 
 4         BP  4 
 3     BR      3 
 2  WK    BB      2 
 1     BK      1 
 abcdefgh 
 black to move
ChessDiag V1.01 (12-OCT-2002)
160. ...Le1? 160. ...Kc2! 161. Ka1 Ta3#

8/8/8/8/7p/3r4/K2b4/3k4 b - - 0 1

Genug des grausamen Spiels - Schlussakkord: Remis durch Abschätzung (da es das Teufelchen auch verabsäumte, Remis nach 50 Zügen zu reklamieren).

Ein GM würde diese Schlußstellung sicherlich anders abschätzen ... aber hier bleibt definitiv keine andere Wahl: Remis (!!) nach Wertung !

Vorhang !

Wer nun schnöde anmerkt, das hätte man doch viel früher haben können, die Partie wäre doch schon nach 27 Zügen zu beenden gewesen wegen Zugwiederholung und Remisschluß - dem kann man nur entgegnen : "Nein - und nochmals nein" ! Was wir da alles an Tragikomödien verpasst hätten...der schmerzliche Verlust dieses Kleinods...!

Zudem besagt die Regel: die Partie ist nur dann unentschieden, wenn der Spieler reklamiert (was Secondo nicht tat), denn gemäß Artikel 12 : "Die Partie ist unentschieden, auf Verlangen eines der Spieler, wenn die gleiche Stellung dreimal vorkommt, jeweils mit dem gleichen Spieler am Zuge....Wenn ein Spieler gezogen hat, ohne ein Unentschieden gemäß den vorstehenden Regeln beansprucht zu haben, verliert er das Recht, ein Unentschieden geltend zu machen."

Was wurden hier für kapitale Böcke geschossen:
diese haarsträubenden Figureneinsteller, die vielen verpassten Gelegenheiten mattzusetzen, das tragische Ende - war das nun eine typische Montags- produktion oder doch eine nette Komödie ?

Solch eine launische/launige Computerpartie hab ich jedenfalls lange nicht mehr erlebt... da mußte man jederzeit mit allem rechnen...völlig unberechenbar und damit atypisch für Computer !

Diese kleine Abhandlung soll man bitte nicht als Kritik mißverstehen - im Gegenteil ist sie als Hommage gedacht an die kleinen "Elo-Winzlinge", die ihr Bestes geben, damit wir uns amüsieren können.

Insofern ist dieser Beitrag auch gedacht um ein bißchen Werbung zu machen für Nick's tolles U1400-Turnier - bin gespannt, welche Perlen Nick da findet...

Wessen Computer patzt noch eleganter, filmreifer ?

Oder haben die Hauptdarsteller Teufelchen/Secondo den Oscar, pardon die "goldene Himbeere" schon sicher ?

Wer sich für die gesamte Partie interessiert, findet sie hier.

Viele Grüße

Hans-Jürgen

PS:
Wie bei Oscar-Preisverleihungen üblich:
Danke an Micha für den super Service, auch diese Partie zum Download bereit zustellen ! Danke Micha !


Geändert von Chessguru (13.06.2007 um 20:24 Uhr)
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