Hallo !
Der Klassiker zu diesem Thema "Verpaßter Damentausch" ist die WM-Partie Chess Genius - Nimzo. Lassen wir dazu den Nimzo-Autor Chrilly Donninger selbst zu Wort kommen:
"Bei der allgemeinen Computerschach WM 1992 in Madrid trat ich mit meinem damals noch sehr unausgereiften Programm Nimzo-Guernica an. In der ersten Runde fand das übliche Schweizer-System-Schlachten statt. Nimzo Guernica war als Opferlamm für das vielfache Mikro-Weltmeisterprogramm von Richard Lang vorgesehen. Bis zur Stellung in Diagramm 1 lief tatsächlich alles nach Drehbuch. Die Mitglieder des Nimzo-Teams drängten mich, die Partie doch endlich aufzugeben und stattdessen Madrid zu besichtigen. Lang Manager Ossi Weiner hatte bereits seinen Chef Hegener telefonisch verständigt, "Erste Partie papierformgemäß gewonnen".
Chess Genius - Nimzo Guernica
WM Madrid 1992 Runde 1
1. Db4 ? 1.Dxd7+!
8/1Q1qk1p1/8/3B4/7P/7P/5PK1/8 w - - 0 1
"Ich lehnte das Ansinnen meiner Kollegen mit dem Hinweis, daß man nur Briefe aufgibt, ab. Bereits vorher hatte ich in der Genius-Hauptvariante einige Ungereimtheiten bemerkt und witterte noch eine Chance. Außerdem war der sonst so ruhige Richard Lang bereits bei den letzten Zügen ungewöhnlich nervös geworden. 56. Db4+? "What´s this" murmelte Richard Lang kopfschüttelnd . 56.... Dd6 57. De4+? Es wird auch im zweiten Anlauf nichts mit dem Damentausch. 57 ... Kd8 58. Df5 Dc5 59. Dg5+ De7 60. f4 Wieder nichts! 60 .... Kd7 61.Lf3 Ke8 62. Lc6+ Kf7 63. Ld5+ Kf8 64. Df5+ Ke8 65. Dc8+ Dd8 66.Lf7+ Ke7 67.De6+ Kf8 68. f5?? es hätte noch immer ziemlich alles andere gewonnen 69 ... Dd2+ 69. Kg3 Dd3+ 70. Kg4 Dd1+ 71. Kf4 (eine nette Pointe ergibt sich nach 71. Kg4 Dd2+ 72. Kh5 Dd1+ 73. Kg6 Dg4+! 74. hxg4 und Schwarz ist Patt) 71 ... Dc1+ 72. Ke4 ... Der König kommt nicht mehr aus dem Schach, die Partie endete mit Remis im 98-ten Zug.
Programme bekommen einen Abtausch-Bonus, wenn sie in einer materiell überlegenen Position Figuren tauschen. Dieser Bonus ist für einen Damentausch am höchsten. Richard Lang hatte irrtümlich das Vorzeichen vertauscht. Der Genius bekam für den Damentausch daher keinen Bonus, sondern einen kräftigen Malus, der Genius vermied so gut es ging den Abtausch. Madrid 92 war der erste Auftritt eines Lang-PC Programmes. Ossi Weiner wurde daher nicht müde zu betonen, daß der Madrid Genius noch eine Beta-Version sei und so etwas in einem käuflichen Lang Programm nie vorkommen würde. Wie findige Leser der Zeitschrift Modul aber herausfanden, lies sich der Fehler bis in die Lang-Tischcomputer des Jahres 1985 zurückverfolgen. Nimmt man Ossi Weiner wörtlich, dann hatten Hegener&Glaser 7 Jahre lang eine Beta-Version um teures Geld verkauft. Noch erstaunlicher ist, daß dieser elementare Fehler in 7 Jahren niemanden aufgefallen war. Der Fehler hinderte Richard Lang auch nicht daran, von 1985 bis 1992 ein paar Mal Computerschach Weltmeister zu werden."
Soweit Chrilly Donninger.
Die Abtauschheuristik ist zwar für jeden Menschen leicht verständlich: bei Mehrbesitz Figuren tauschen, bei Materialnachteil Figurentausch vermeiden und Bauerntausch anstreben. Die Implementierung bei Brettcomputern hatte
aber so ihre Tücken...nicht nur beim MM II !
Viele Grüße
Hans-Jürgen