Thema: Turnier: Großes CB-Emu Turnier
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Alt 17.04.2017, 18:41
Hartmut Hartmut ist offline
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AW: Großes CB-Emu Turnier

Tja und nun zur Hauptattraktion des Abends...

Ich durfte mit Schwarz gegen den Genius 030 V4.01 antreten. Und ehrlich gesagt... ich hatte die Hosen voll. Was macht man gegen einen der besten Schachcomputer der je am Markt war. Na mal sehen.

Weiss eröffnete mit 1. e4 und bei mir gab es da nur 2 Optionen, entweder Sizilianisch oder Moderne Verteidigung. Beide Eröffnungen benutze ich im Nah- wie im Fernschach recht gerne und bin darin auch fit. Das Sweschnikov-System, welches ich gerne spiele kann ich in allen Varianten wohl mindestens 15 Züge lang runterbeten. Aber ich ging davon aus, dass der London das ebenfalls kann, war es doch zu der Zeit eine beliebte Modevariante. Also Modern Defense. Und siehe da, die kannte ich besser. Allerdings ist die Kiste nicht umsonst Weltmeister geworden. Die Eröffnung überstand sie mühelos, das Mittelspiel auch. Vorteile herauszuarbeiten... so gut wie unmöglich.

Erst mit der Abwicklung ins Endspiel ergab sich für mich eine gute Konstellation, einen gefährlichen Freibauern zu erhalten. Ein Stellungsmotiv aufbauend auf einer größeren Springerwanderung. Ein Mensch sieht das mit wenigen Blicken, ein Computer muss dafür bis in Denktiefe 9 vorstoßen. Und dann hat er noch lange nicht errechnet, wie es danach weitergeht sondern erstmal die Endposition des Springers erreicht. Ein glücklicher Umstand, der mich in Vorteil kommen ließ. Aber wie gesagt, der Genius war einer der besten ever...

Irgendwo in den Tiefen der Varianten habe ich dann zugelassen, dass er eigene Freibauern aktivieren konnte und musste im Zuge der Ereignisse meinen dafür hergeben. Das Endspiel stand zwar materialmäßig am Schluss immer noch besser für mich, jedoch fand ich keinen Weg hier vorwärts zu kommen. Hier hat nach dem 50. Zug irgendwie die Schachblinheit gewaltig zugeschlagen. Mag sein, dass ich hätte gewinnen können, aber gefunden habe ich am Brett diesen Gewinnweg jedenfalls nicht. Erst die spätere Analyse mit Komodo zeigte, dass ich einige Züge versemmelt habe, wo ich der Meinung war, sie wären dringend erforderlich. Zum Beispiel: 54. ...f4+. Hier hätte 54. ...Kg7 nebst h4+ vermutlich locker gewonnen (meint jedenfalls Komodo. Und der muss es ja wissen...). Oder wie in meinem Livekommentar während der Partie. Ich schreibe noch "Simpler Plan" und "wenn sich der König h4 zubewegt...". Das man das natürlich mit selber h4+ spielen hätte forcieren können, hätte ich auch auch ohne Komodo selber sehen können... hab ich aber nicht. Aber was solls. Nicht gesehen ist eben nicht gesehen. Daher wurde dem Genius dann nach langem Kampf das Remis zugestanden. Und ganz ehrlich... gegen diesen Gegner ein Remis zu erreichen, kann man auch als Erfolg verbuchen. Ärgerlich bleibt es natürlich trotzdem...

Und hier nun die Partie

[Event "CB-Emu swiss"]
[Site "?"]
[Date "2017.04.16"]
[Round "2"]
[White "Genius 030 V4.01 OC, Mephisto"]
[Black "Hering, Hartmut"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "B06"]
[WhiteElo "2330"]
[BlackElo "2200"]
[PlyCount "115"]
[EventDate "2017.??.??"]

1. e4 g6 2. d4 Bg7 3. Nc3 d6 4. Be3 a6 5. Qd2 b5 6. f3 Nd7 {Dass der Mephisto
die Robatsch-Verteidigung bis hier im Speicher hatte, war eine kleine
Überraschung. Aber ich kenne die Abspiele trotzdem besser. Ist ja immerhin
eine meiner beliebten Fernschach-Waffen.} 7. Nge2 c5 8. dxc5 {Die weissen
Alternativen 8. g4 oder 8.0-0-0 mit anschließendem Flügelangriff sind für
Schwarz gefährlicher. Nun erreicht Schwarz leicht Ausgleich} Nxc5 9. Ng3 Bb7
10. Be2 Nf6 {Beide haben wir bisher etwa je 15 Minuten verbraucht. Vor allem
die letzten beiden Züge brachten mich etwas ins Grübeln, da Weiss sehr zaghaft
fortgesetzt hat. Das erfordert von Schwarz dann immer Vorsicht, da er
versuchen muss seine dynamische Stellung im Gleichgewicht zu halten und sich
nicht zu voreiligen Aktionen verleiten lassen darf.} 11. O-O Rc8 12. Rfd1 O-O
13. e5 Ne8 {Zu verbessern gab es nichts mehr an der weissen Stellung und
Abwartezüge, wie ein Mensch sie vielleicht versucht hätte sind nicht sein Ding.
Also greift er logischerweise im Zentrum an. Nun kann sich zeigen, wie
dynamisch die schwarze Stellung wirklich ist.} 14. exd6 Nxd6 15. Bd4 Qb6 {
Das dürfte den Genius etwas überraschen. Natürlicher wäre Se6 gewesen, aber
der Damenzug unterstützt einerseits die Bauern a6/b5, andererseits droht nach
dem Läufertausch ein Abzugsschach.} 16. Kh1 Bxd4 17. Qxd4 Nc4 {Nun ist es
Schwarz der aus der passiven Stellung heraus auf einmal aktiv wird.} 18. Bxc4
bxc4 {Auf 19. Dxc4 würde jetzt Dxb2 folgen.} 19. Nge4 Rfd8 20. Qf2 Bxe4 {
Die gröbste Spannung ist aus der Stellung raus. Der Läufer war nur für den
Kampf ums Zentrum wichtig, da er auf der Diagonale aufgrund der weissen
Bauernstellung keinen großen Zweck verfolgt. Also weg damit.} 21. Nxe4 Na4 {
Fast 10 Minuten habe ich für den Zug verbraten. Die Kiste hat die Eröffnung
gemeistert, sich im Mittelspiel zu nichts hinreissen lassen, wenn überhaupt
dann kann ich sie nur noch im Endspiel knacken. Also versuche ich den
Damentausch zu forcieren.} 22. Qxb6 Nxb6 23. Rxd8+ Rxd8 24. b4 Rd5 {Der einzig
vernünftige Zug. Sd5 scheitert an der Fesselung nach Td1. Auf 24. ... e6 muss
ich die d-Linie aufgeben um nach 25. Sc5 den a-Bauern zu decken. Und Sa8 nebst
Sc7 sah mir zu passiv aus.} 25. Nc5 Rd2 {Etwas riskant, weil ich erstmal den
Bauern auf a6 abgeben muss. Aber ich hoffe darauf durch die Springerwanderung
Sb6-a4-c3-e2 den c-Bauern zu erobern und damit einen eigenen Freibauern zu
schaffen.} 26. Rc1 Nd5 27. Nxa6 Nc3 28. a3 Na2 {Eine kleine Planänderung.
Während des Abspulens der Springerwanderung gewann ich den Eindruck dass ich
das Feld e2 eventuell für den Turm brauchen könnte. Aber auf a2 steht der
Springer erstmal genauso gut.} 29. Ra1 Rxc2 {Die Planung ist erstmal
aufgegangen. Dass Weiss nun ein Loch für den König aufmachen und mir damit ein
Tempo schenken muss ist ein angenehmer Nebeneffekt, der mir erst jetzt
aufgefallen ist.} 30. h4 Nc3 31. Nc7 Rb2 {Glück für mich. Der letzte Weisse
Zug war ein Fehler, wenn auch nachvollziehbar. Weiss wollte das Feld b5
überdecken um seinen Bauern durchzubringen. Dadurch, dass er allerdings zu
spät ein Loch für den König geschaffen und dadurch ein Tempo verloren hat, bin
ich schneller.} 32. Kh2 Ne2 {Ein wenig Glück gehört dazu. Das Motiv der
Springerwanderung, ausgehend vom 25. schwarzen Zug, war für einen Menschen auf
einen Blick zu sehen. Der Computer muss dafür bis in den 9. Halbzug vordringen
und dann auch noch die Folgen weiterberechnen. Moderne PC-Programme schaffen
das. Unsere Oldies sind damit aber überfordert.} 33. Nd5 c3 34. b5 Rxb5 {
Da muss die Analyse von Fritz und Co zeigen ob der wirklich gut war. Im
Nachhinein bin ich der Meinung, dass ich mir hier das Leben selber schwer
gemacht habe. Vermutlich hätte ich den Bauern vorläufig ignorieren können...}
35. Ra2 Rc5 36. Ne3 Nd4 37. Nc2 e5 {Tja, vorbei ist es mit dem Durchmarsch des
c-Bauern. Immerhin, ein gesunder Mehrbauer bleibt. Aber ob das reicht... keine
Ahnung. Die Kiste ist ja nicht wegen der schönen Augen von Richard Lang ein
Weltmeisterprogramm geworden...} 38. a4 Ra5 39. Kg3 Nf5+ 40. Kf2 Nxh4 {Und
nachdem der menschliche Part dieser Begegnung ab und an auch mal schlafen muss,
wurde die Partie hier für ein paar Stunden unterbrochen...} 41. Ne3 Nf5 42.
Nxf5 gxf5 {Mit nunmehr 2 Mehrbauern sollte ich das Endspiel eigentlich
gewinnen können.} 43. Ke3 Rd5 44. Rc2 Rd4 45. Ra2 c2 46. Rxc2 Rxa4 {a- und
c-Bauer sind weg und man kann sich nun der Situation am Königsflügel widmen.}
47. Rc5 f6 48. Rc2 h5 {Alle schwarzen Bauern sind in Stellung. Eine Blockade
des schwarzen Königs durch z.B. Tc7 bringt dem Weissen nichts, da der schwarze
Turm recht schnell zur Stelle ist. Nun wird sich zeigen ob der Weltmeister
sich da noch rauswinden kann. Ich glaube es eher nicht.} 49. Kf2 Kf7 50. Kg3
Kg6 51. Rc8 Ra2 {Der Plan ist simpel. Irgendwann f4 spielen und wenn sich der
weisse König auf h4 zubewegt fällt der g-Bauer.} 52. Rg8+ Kh7 {OK, an das
Schachgebot hatte ich nicht mehr gedacht. Vielleicht hätte ich doch vorher
schon f4 spielen sollen um auf f5 ein Schlupfloch für den König zu haben.} 53.
Rf8 f4+ {Dann eben jetzt, auch wenns jetzt umständlicher ist...} 54. Kh3 Kg7
55. Rc8 Rb2 {Verlegenheit und sich anbahnende Zeitnot ließen mich diesen
Abwartezug machen. Es scheint als hätte sich der Genius doch noch
herausgewunden. Geht der König nach g6 kommt das nächste Schachgebot. Stellt
er sich dann auf f5 folgt Th8 und ich komme nicht weiter. Naja, ein paar Züge
mache ich noch, aber ich fürchte das wird nun doch remis.} 56. Rc6 Rd2 {
Das ist der Nachteil, wenn man sich hauptsächlich aufs Fernschach konzentriert.
Man hat in vielen Stellungstypen Erfahrung, aber solche Endspieltechniken
überlässt man dann doch allzuoft der Stockfish GmbH und Co KG.} 57. Rb6 Kg6 58.
Ra6 {OK, ich habe keine wirklichen Ideen mehr und das Osterkaninchen muss auch
noch zerteilt werden und in den Ofen. Daher Remis gegeben. Immerhin... ein
Remis gegen diesen Gegner ist auch schon ein Erfolg und mit etwas Glück bleibt
mir dadurch in der nächsten Runde ein neues Lang Programm erspart. Auf die
Engine-Analyse in Chessbase bin ich trotzdem schon gespannt.} 1/2-1/2

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Mein Profil beim ICCF (International Correspondence Chess Federation)
https://www.iccf.com/player?id=89948&tab=3
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