Thema: Partie: Human vs Oldies
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Alt 11.01.2017, 22:49
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AW: Human vs Oldies

Liebe Schachfreunde

Gerne beschäftige ich mich mit den alten Zeiten des Computerschachs. Und für Interessierte lasse ich das hier etwas aufleben. Gut in Erinnerung geblieben sind mir die Einsätze von Schachcomputern an unseren internen Klub-Turnieren. Machen wir also eine Reise zu diesen alten Partien, die ich alle kommentiert hier präsentiere.

Das im Jahre 1986 erste zum Einsatz kommende Gerät war der frisch gekürte Weltmeister Mephisto Amsterdam, 16bit, 68000 CPU, 12 MHz von Richard Lang.

Hier nun die 6. Partie im Klubturnier Pfäffikon ZH/Schweiz. Ohne sehr gut zu spielen, holt sich das Computerprogramm gegen einen (Mit-)Favoriten des Turniers den vollen Punkt. Der menschliche Spieler vermag seine Vorteile nicht auszuspielen, bekommt durch eine Unachtsamkeit die schlechtere Stellung und kann die Partie in horrender Zeitnot nicht halten.


[Event "VM 120'/40"]
[Site "Pfaeffikon (publiziert)"]
[Date "1986.??.??"]
[Round "6"]
[White "Mephisto Amsterdam 16bit"]
[Black "Gosch, Manfred"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "2000"]
[BlackElo "2067"]
[ECO "B22"]
[Annotator "Utzinger,K"]

1.e4 c5
{Manfred Gosch (ELO 2067) mit Schwarz musste unbedingt gewinnen, wenn er bei dieser Klub-Meisterschaft noch ein Wort um die Spitze mitreden wollte.}
2.c3 e6 3.d4 a6
{Die Eröffnungswahl von Mephisto Amsterdam war gar nicht nach dem Geschmack des einen Sieg anstrebenden Schwarzspielers, weshalb M.Gosch frühzeitig von den üblichen Theoriepfaden abweicht. Programme zeigen ob solcher Dinge keine Nerven und spielen ihre Züge unverändert schnell aus, so dass in solchen Fällen oftmals die Experimentierfreudigen in Zeitnot geraten. Und Gosch, ein schöpferischer Spieler, hat die Tendenz, in den meisten seiner Partien in Zeitnot zu geraten.}
4.dxc5
{Sicher nicht die beste Wahl, den das Programm nach Verlassen des Eröffnungsbuchs spielt. Der Gegner bzw. sein Läufer wird gratis entwickelt. In meiner ganzen Datenbank habe ich diesen zweitklassigen Zug nirgend gefunden. In diesem Turnier werden gnadenlos verschiedene Schwächen des amtiertenden Computerschach-Weltmeisters aufgedeckt.}
4...Bxc5 5.b4
{?! Ich traute meinen Augen nicht. Der Bauernvorstoss ist anti-positionell und scheint auf den ersten Blick auch taktisch falsch wegen Lxb4. Doch so einfach ist die Sache nicht, wie aus der Beispielvariante hervorgeht.}
5...Be7
{Dafür gingen einige wertvolle Minuten an Bedenkzeit verloren. Die Frage, wo der Läufer hingehen soll, ist nicht einfach zu beantworten: auf b6 oder a7 würde der Läufer eine schöne Diagonale beherrschen. Mit dem Rückzug nach e7 will Manfred Gosch den Druck auf den weissen b4-Bauer nicht aufgeben und den Damenausfall 6.Dg4 allenfalls mit 6...Lf6 beantworten.}
( 5...Bxb4 $4 6.cxb4 Qf6 7.Qc2 {mit Angriff auf den Lc8} 7...Qxa1 8.Bb2 Qxa2 9.Qxc8+ Ke7 10.Qc2 {und die schwarze Dame geht wegen der unabwendbaren Doppel-Drohung Lf6+ und Lc4 verloren.} )
6.Nf3 Qc7
{Das kann sich Schwarz leisten, zumal die Dame in solchen Stellungen meistens gut auf c7 steht. Ferner wird dadurch Druck auf c3 ausgeübt.}
7.Be3 e5
{Eine schwer wiegende wie auch tiefsinnige Entscheidung. Offenbar war Manfred Gosch der Meinung, dass er später auf jeden Fall den Vorstoss d7-d5 durchsetzen kann. Aber wiederum brauchte Schwarz für diesen Zug wertvolle Minuten an Bedenkzeit. Meines Erachtens war es vernünftiger, mit 7...Sf6 die Entwicklung voranzutreiben.}
8.Be2 Nf6 9.Bg5
{?! Ein echte Überraschung für den Bediener. Zum einen wird damit eine Figur zum zweiten Mal gezogen und andererseits kann Schwarz nun einen Bauern gewinnen, wofür Weiss nur ungenügend Kompensation erhielte.}
9...Nc6
{Keine Ahnung, was Schwarz bewogen haben mag, das offensichtliche Geschenk 9...Sxe4 mit Bauerngewinn nicht anzunehmen.}
( 9...Nxe4 10.Bxe7 Kxe7 11.O-O d6 {und Schwarz steht nicht schlechter, ist aber im Besitz eines Mehrbauern.} )
10.Nbd2 b5
{?! Fragwürdig: Wohl wird damit die Schwäche c3 endgültig festgelegt. Dem entgegen spricht die verzögerte Entwicklung und die Tatsache, dass Weiss mit a2-a4 einen Angriffspunkt für die spätere Öffnung der a-Linie erhält.}
11.a4
{Der Computer lässt sich nicht zweimal bitten.}
11...Rb8 12.axb5
{Hebt den Druck etwas gar zu früh auf, weshalb die Rochade den Vorzug verdiente.}
12...axb5 13.O-O O-O 14.Qb1
{! Ein typischer Computerzug und zudem noch gut. So werden die b4- und e4-Bauern gedeckt, Tf1-c1 vorbereitet, während auch der wSd2 wieder frei wird für Manöver wie Sd2-b3-a5 oder ähnlich.}
14...Rd8
{Alles dreht sich um das Feld d5.}
15.Bxf6
{Ein typisches Verfahren, bei dem der das Feld bewachende Springer gegen einen Läufer getauscht wird.}
15...Bxf6 16.Rd1 d6
{Hier hätte der sofortige Vorstoss d7-d5 nach exd5 leichten Vorteil für Weiss zu Folge.}
17.Nf1
{Druck auf d5, während auch Se3 mit Beherrschung der Felder d5/f5 vorbereitet wird. Kurzum, der Textzug ist gut.}
17...Ne7
{Überdeckt die wichtigen Felder f5 und d5 in der Hoffnung, doch einmal d5 durchsetzen zu können.}
18.Ne3 Be6
{Natürlich durfte Schwarz nicht auf c3 zugreifen, weil die Dame nach 18...Dxc3?? 19.Tc1 kein Fluchtfeld mehr hätte.}
19.Qd3
{?! Verpasst die Chance, mit 19.Ta5 den Gang der Dinge zu bestimmen.}
19...d5
{Nun geht die Initiative verdientermassen an Schwarz über.}
20.Ra3
{Ein typischer Computerzug: deckt c3 und bereitet die Verdoppelung der Türme auf der a-Linie vor. Dennoch verdienten Tauschoperationen auf d5 den Vorzug.}
20...g6
{Damit bereitet M.Gosch den Tausch d5xe4 gefolgt von Lf5 und/oder später den Vorstoss f7-f5 vor. Eine interessante Variante startet mit dem sofortigen 20...d4.}
21.Rda1
{?! Fragwürdig, statt viel besser 21.h3, was dem König ein Luftloch öffnet, aber insbesondere das wichtige Feld g4 unter Kontrolle bringt im Hinblick auf ein mögliches Sg4.}
21...dxe4
{Manfred Gosch bleibt bei seinem Plan und verpasst die noch bessere Möglichkeit 21...d4! mit klarem Vorteil für Schwarz.}
22.Qxe4 Bf5 23.Nxf5 gxf5 24.Qe3 Nd5
{Es besteht kein Zweifel, dass Schwarz die spürbar angenehmere Stellung hat. Nur wird es nicht so einfach sein, den geringen Vorteil weiter auszubauen.}
25.Qh6 Bg7 26.Qc1
{?! Schutz des schwachen c3-Bauern, aber zu passiv. Deshalb sind entweder 26.Dg5 oder 26.Dh4 zweckmässigere Fortsetzungen.}
26...Rdc8
{? Ein Fragezeichen deshalb, weil der schwarze Vorteil mit 26...e4 hätte ausgebaut werden können.}
27.Qg5 Nxc3
{Der Schwächling ist gefallen, aber auf Kosten eines harmonischen Zusammenspiels der schwarzen Figuren.}
28.Bf1 e4
{? Ein Fehler, nachdem der Vorteil an den Gegner übergeht. Notwendig war 28...f4.}
29.Nh4
{Die Drohung Sxf5 ist unangenehm. Und überhaupt koordinieren die weissen Figuren plötzlich gut zusammen. Das ist besonders lästig, weil Schwarz zur Erreichung seiner ehemals guten Stellung viel Zeit investiert hatte und nun spürt, dass sich die Lage grundlegend geändert hat.}
29...h6
{Wehrt die Drohung Sf5 ab, doch 29...Dd8 scheint die bessere Wahl.}
30.Qxf5
{Interessant war 30.Dh5!?}
30...Qe5
{Dieses Mal typisch Mensch: Gosch, schon von nahender Zeitnot bedroht, sucht den Damentausch, was auch tatsächlich die beste Antwort darstellt.}
31.Ra7
{Genauer war dem Damentausch mit 31.Dxe5 usw.}
31...Qxf5 32.Nxf5
{Schon hier war ich mir fast sicher, dass der Computer gewinnen würde. Denn Manfred Gosch hatte für die nächsten Züge bis zur Zeitkontrolle im 40. Zug jeweils nur noch wenige Sekunden übrig, so dass Fehler fast unausweichlich sind.}
32...Re8
{? Das ist wesentlich schlechter als 32...Lf8}
33.R1a3
{Mit der Drohung Sxg7 Kxg7, Txc3 und Figurengewinn.}
33...Rec8
{?? Und hier ist er: der entscheidende Fehler in einer allerdings schon schlechten Stellung. Der Rest ist Schweigen. Nach diesem Sieg hatte der Computerschach-Weltmeister mit 3 Pkt aus 6 Partien wieder ein Score von 50 % erreicht. Noch zu erwähnen, dass der Kampf einzig mit 33...e3 34.Sxe3 und weissem Mehrbauer hätte fortgesetzt werden können.}
34.Ne7+ Kh7 35.Nxc8 Rxc8 36.Rxf7 Kg6 37.Rd7 Be5 38.Ra6+ Kg5 39.Re6 Bf6 40.Rdd6 Rf8 41.Bxb5 Ra8
( 41...Nxb5 42.Rd5+ Kg6 43.Rxb5 {+-} )
42.Bf1
{Oder auch 42.h4+, was noch schneller zum Ende führt.}
42...Ra1 43.f4+
( 43.Rxf6 {Nur ein Mensch könnte diesen schrecklichen Fehler in Zeitnot begehen.} 43...Ne2+ 44.Kh1 Rxf1# )
43...exf3 44.Rxf6
{Nun hat der weisse König ein Fluchtfeld auf f2, weshalb der Figurengewinn funktioniert.}
44...Ne4
{Die Hoffnung glimmt, aber sie wird sofort wieder zerstoert}
45.h4+ Kh5 46.Rd5+ Kxh4 47.Kh2 Nxf6 48.g3+ Kg4 49.Bh3# 1-0
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Mapi (11.01.2017), Robert (12.01.2017)