Thema: Review: Psion Chess
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Alt 01.01.2019, 14:31
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Psion Chess



Hallo zusammen,

wir schreiben Sommer 1988. Ich war zwar von Schachcomputern begeistert, aber die finanziellen Prioritäten lagen als Student gezwungenermaßen anderweitig. Ich hatte zwar schon diverse Schachcomputer besessen, aber leider keinen, der mich wirklich fesseln konnte. Das einzige Gerät, das ich besaß und von dem ich mich nicht trennen wollte, war ein Mephisto III im ESB 6000 Brett, ein sehr günstiger Gebrauchtkauf von Ernst Musch.

Die wirklich spielstarken 16 Bitter waren kaum erschwinglich. Auf der anderen Seite bin ich seit meiner Kindheit ein Computernerd. Das fing im zarten Alter von 12 Jahren mit einem Sharp PC1211 an. Ich lernte Basic und schrieb mein erstes Programm "Mondlandung".

Was also lag näher, als sich mit dem Thema Computerschach zu beschäftigen? Klare Antwort: Die Spielstärke! Alles, was es bis dahin auf diversen Plattformen gab, war ziemlicher Murks. Dann aber entdeckte ich "Psion von Richard Lang".

Dem Richard Lang? Mephisto Amsterdam, Dallas und Roma waren mir durchaus bekannt. Aber selbst gebraucht lagen die außerhalb meiner Möglichkeiten. Aber als stolzer Besitzer eines i386DX mit 33 MHz könnte eine Diskette alle meine schachlichen Wünsche erfüllen.

Kurze Zeit später hatte ich sie dann ... die magische Diskette mit Psion Chess, dem Programm von Richard Lang.

Nach dem ersten Laden des Programmes wurde ich freundlich in englischer Sprache aufgefordert, den richtigen Bildschirm auszuwählen, ja damals war die Welt noch nicht so simpel wie heute. Als erstes wechselte ich die Spache und startete das Programm neu ...

Nun wurde ich zwar auf deutsch begrüßt, war aber leicht ernüchtert:

Startbildschirm


"Fahbadapkarte"? Ernsthaft? Weia!

Zum Glück der einzige Patzer ...

Wenn man mit "F" bestätigt, gelangt man auf den Startbildschirm:

Ausgangsstellung


Ein kleines, sehr nettes Detail: Der Hinweis "Turnierstatus" besagt, dass man bis zu diesem Punkt absolut fair gespielt hat, soll heißen, keine Züge zurück genommen hat, keine Hilfe in Anspruch genommen hat und Psion auch nicht ins Elektronenhirn geschaut hat.

Wer es schafft, eine Partie so zu gewinnen, darf mit Recht einen Screenshot machen und vor seinen Freunden damit angeben, Psion in einem fairen Wettkampf geschlagen zu haben.

Wirklich vorbildlich ist ist das "eingebaute Handbuch". Mittels der Taste "F1" gelangt man zur eingebauten Hilfe, die eine gedruckte Referenz überflüssig macht:

Anleitung


Die Bedienung erfolgt ausschließich über die Tastatur, Mausunterstützung ist nicht vorgesehen, wird aber auch nicht vermisst. Funktionen werden über Buchstabentasten aufgerufen, die Züge mittels der Curser und Enter / Return Taste ausgeführt.

Eine nette Spielerei ist die Möglichkeit, sich das Spielbrett mittels Tastendruck "F2" auch in "3D" anzeigen zu lassen:

3D Brett


Ein Druck auf die Taste "B" zeigt die "Bewertung" an. Hier informiert Psion über die aktuelle Bewertung der Stellung und die erwartete Fortsetzung. Hier werden bis zu acht Halbzüge angezeigt.

Berechnung


Es gibt elf normale Spielstufen zwischen "sofort" und "unendlich", außerdem acht Mattsuchstufen. Dazu gibt es noch eine Spielstufe, in der sich Psion gemittelt die gleiche Bedenkzeit wie der Spieler gönnt.

Das alles ist schön und gut, aber was bietet Psion Chess schachlich? Nun, Psion Chess entspricht in der Version 2.13 zu ca. 80% dem Mephisto Amsterdam, dazu kommen 20% vom Dallas. Das Programm verfügt über eine hochgradig selektive Suche und für die damalige Zeit sehr viel Schachwissen.

Hier einige Beispiele:

- Psion beherrscht alle Unterverwandlungen.
- Psion legt wert auf Bauernstrukturen und verzichtet auf ein Bauernopfer, wenn dies die Stellung zerstört.
- Eroberungen offener Linien.
- Beherrschung und Ausnutzung der 7. Reihe.
- Alle normalen Endspiele inkl. KLS-K werden beherrscht.
- Opposition inkl. Randbauern wird beherrscht.
- Falscher Läufer wird beherrscht.
- Zentralisierung vom König im Endspiel wird sehr gut gespielt.

Für ein "Schachprogramm" war das zur damaligen Zeit schon sehr beeindruckend und einzigartig. Dementsprechend lag seine Spielstärke auch bei entsprechender Hardware über der seines Bruders, dem Amsterdam.

Auch heute, rund 30 Jahre später, spiele ich immer mal wieder gerne eine Partie gegen Psion. Dieser sehr "frühe Lang" spielt noch vergleichsweise ungestüm. Aber genau das macht seinen Charme aus, wie auch beim Amsterdam. Zudem ist er bei kurzen Bedenkzeiten auch für den geübten Spieler ein unangenehmer Gegner.

Psion Chess war, ähnlich wie der Amsterdam, sensationell und die Messlatte für alles, was danach kam.

Ich hoffe, meine kleine Rückschau hat euch gefallen.

Viele Grüße,
Sascha
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Geändert von Mythbuster (01.01.2019 um 18:35 Uhr)
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