Thema: Review: Mephisto III Fan Thread
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Alt 27.06.2010, 15:27
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AW: Mephisto III Fan Thread

Hallo zusammen,
der Mephisto III ... aus meiner Sicht bis heute einer der größten Meilensteine der Schachcomputergeschichte. Er war vom Programm seiner Zeit deutlich voraus. Die damalige Hardware war leider nicht schnell genug, um das Programm zu unterstützen ... leider wurde der MM I auch nur vom 1806 angetrieben, den Schritt zum 6502 machte man leider erst beim MM II.

Erstmals hatte ich Anno 1983 / 84 Kontakt zu dem Gerät, in der Spielwarenabteilung von Karstadt. Als Schüler waren 698,- DM für so einen schwarzen Kasten einfach nicht zu bewältigen. Zu diesem Zeitpunkt spielte ich Schach im Verein und es war kein Problem, den Computer zu schlagen ...

Und dennoch beeindruckte mich sein Spielstil ... und so mancher Zug war durchaus eine echte Überraschung.

Da ich mich auch schon damals für Computer und Programmierung interessierte, war der "Blick hinter die Fassade" für mich sehr interessant ... der Mephisto III zeigte einen sehr umfassenden Blick in den Rechenvorgang ... Bewertung, Beste Züge, Rechentiefe und noch mehr. Über die Tastenkombination "Info" + "C3" kommt man an die Informationen, die bis heute unerreicht sind: Rechentiefe, unterteilt in den Sockel und die selektiven Spitzen ... und dazu die Anzahl der berechneten Knoten / Züge ... und was man hier zu sehen bekam, war und ist einmalig: Der Mephisto berechnet pro Sekunde nur zwischen 1 und 3 Züge / Knoten! Andere Computer dieser Zeit waren bis zu 1.000-fach schneller! Und trotzdem spielte er so gut oder sogar noch besser als seine Mitbewerber jener Zeit.

Wie war das möglich? Im Gegensatz zu anderen Schachcomputern, die nur möglichst schnell viele Züge bewerten, gingen die Programmierer beim Mephisto III völlig neue Wege: Sie verpassten ihm einerseits so viel Schachwissen, wie noch keinem Computer vorher ... da das Programm damit allerdings sehr langsam wurde, reicht Wissen allein nicht aus ...

Der zweite Schritt war die drastische Reduktion der berechneten Varianten. Wenn der Mephisto III schon menschliches Wissen bekommt, liegt es nahe, ihn auch "menschlich" suchen zu lassen.

Ein menschlicher Spieler wählt gleich zu Beginn einige vielversprechende Züge aus und verfolgt diese dann in die Tiefe. Gleiches macht auch der Mephisto III: Er verzichtet fast vollständig auf einen Sockel in der Berechnung ... stattdessen geht er bei einigen Varianten in die Tiefe.

Dieses Verfahren hat natürlich Vor- und Nachteile: Einerseits kann der Mephisto III so Züge bzw. Wendungen finden, die sehr viel tiefer und weitreichender sind, als dies Computer können, die auf die herkömmliche Weise suchen.

Und genau dies ist der Punkt: Er kann, aber er muss nicht ... wer nur wenige Züge und Varianten untersucht läuft Gefahr, Drohungen zu übersehen ... und genau dies passiert dem Mephito III immer wieder.

So kann es vorkommen, daß er heute meisterlich spielt und morgen wie ein Anfänger ... menschlich halt.

Jahre später entdeckte ich dann in einer alten CSS Ausgabe die Stellung einer Damenvorgabepartie aus dem Jahr 1870, die die Einzigartigkeit dieses Computers beeindruckend vorführt:



Es ist ein schönes Matt in 9 ... mit einer kleinen Verführung in Form eines Damengewinns ...

Anhand dieser netten Stellung kann man auch sehen, daß es im Laufe der Zeit diverse Versionen dieses Programmes gab.

Die Endversion des Mephisto III dürfte der legendäre Glasgow sein. Diese Version läuft auf einer 68.000er CPU von Motorola bei 12 MHz. Der Glasgow findet das Matt nach nur 16 Sekunden und hat bis dahin nur 110 Züge / Knoten untersucht!

Der Hammer ist die Urversion des IIIer Briketts: Zwar benötigt das Brikett 33 Sekunden ... aber der IIIer untersucht lediglich 52!!! Züge / Knoten, um das Matt zu finden.

Die "IIIb Version": Sie benötigt deutlich länger, nämlich 61 Sekunden und untersucht 96 Züge bzw. Knoten, bis das Matt angezeigt wird ...


Welche Versionen des Mephisto III sind bekannt?

Da wäre zunächst natürlich der "Ur Mephisto III": Dieses Programm existiert einerseits als Tastengerät, auch Brikett genannt. Als CPU kommt ein 1802 mit 6,1 MHz zum Einsatz. Allerdings gibt es auch eine Version für das Modular / Exclusive Brett mit 1806 CPU bei 8 MHz. Allerdings sind diese Module recht selten.

Ca. sechs Monate später kam ohne eine Änderung der offiziellen Bezeichnung die "IIIb" Version auf den Markt. Offenbar wurde sie taktisch etwas verstärkt. Wie man an dem Stellungsbeispiel oben sieht, ist das Rechenverhalten in der Tat unterschiedlich. Man kann die beiden Versionen sehr leicht auf Anhieb unterscheiden: Einerseits werden Züge aus dem Buch in der "B-Version" fast ohne Verzögerung gespielt, während der "Ur IIIer" ca. zwei Sekunden braucht, bevor er antwortet. Ein weiterer, sehr deutlicher Unterschied: Die "B-Version" spielt in der Eröffnung aktiv französisch, der "Ur-IIIer" nicht! Selbstverständlich gab es die "B-Version" auch in Form des MM I für Modular und Exklusive. In der Hardware gab es keine Unterschiede.

Dann wäre da natürlich der Mephisto Glasow: Er ist das Flagschiff der IIIer Reihe. Das Programm wurde deutlich überarbeitet und spielt taktisch deutlich sicherer. Außerdem wurde das Eröffnungsbuch deutlich erweitert, mit über 1.000 Varianten mehr als verdoppelt. Der größte Unterschied ist die Hardware: Statt 1802 bzw. 1806 CPUs kam hier das damalige Flagschiff der CPU Technik zum Einsatz: Ein Motorola 68.000, angetrieben mit satten 12 MHz! Der Glasgow wurde nur zusammen mit dem Exclusive S Brett als Komplettgerät hergestellt und verkauft. Die Auflage soll bei 1.000 Geräten liegen. Da Hegner & Glaser viele dieser Geräte später zu "Amsterdam", "Dallas" oder "Roma" umgerüstet hat, ist der Glasgow heute ein seltenes und gesuchtes Sammlerstück.

Aber es gibt noch eine relativ unbekannte Version, die noch deutlich seltener ist: Den Mephisto Excalibur aus dem Jahr 1983. Dieses Gerät sieht von außen wie ein Mephisto III Brikett aus, welches fest in einem ESB 6000 Brett verbaut ist. Das Geheimnis steckt im Inneren: Der Excalibur war der erste Schachcomputer der Welt, in dem ein Motorola 68.000 verbaut wurde, getaktet auf 8 MHz. Gebaut wurde das Gerät für die WM in Budapest. Da bei der WM nur "kommerzielle" Geräte teilnehmen durften, wurden kurzerhand 50 Stück gebaut. Die Technik hatte jedoch ihren Preis: Stolze 4.998,- DM waren fällig, wenn man dieses schöne Gerät sein eigen nennen wollte ... dafür wurde auf Wunsch der Name des stolzen Besitzers auf die Plakette am Gerät eingraviert.

Ich bekam meinen ersten eigenen IIIer übrigens Ende der 80er Jahre ... als Gebrauchtgerät zusammen mit einem sehr schönen ESB 6000 Brett. Diese Bretter gehören aus meiner Sicht auch heute noch zu den schönsten Brettern auf dem Markt.

Meine Liebe zum Mephisto III und seiner Familie ist bis heute geblieben ... neben einigen Briketts habe ich auch noch die MM I Versionen und hatte vor kurzem das große Glück, einen bis dahin unbespielten Glasgow zu bekommen, der jetzt in einem dazu passenen Mephisto Holzkoffer zu den Höhepunkten meiner Sammlung zählt ... nur den Excalibur habe ich leider nicht ... und ich fürchte, die Chance, einen je zu bekommen, dürfte sehr gering sein. Ich kenne nur einen stolzen Besitzer in den USA, der ein funktionsfähiges Gerät besitzt.

Beste Grüße,
Sascha
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