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Alt 16.06.2020, 14:04
StPohl StPohl ist offline
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AW: Selbstlernende KI: Neue Engine spielt auf Profi-Niveau (Der LC0 Thread)

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By the way, an alle, die von dieser Art Engines begeistert sind: Ich habe FatFritz ... der Unterschied ist ja, dass hier das "Lernen" auf den Datenbanken von ChessBase basiert, mit all den von Menschen gespielten Partien.
Das stimmt nur sehr bedingt. Damit ein halbwegs spielstarkes NN (der mittleren Größe, die auch FatFritz hat, also 20x256) überhaupt entstehen kann, benötigt es sehr viele Partien. Die diversen Lernruns, die es ja schon mit dieser Netzgröße gegeben hat (T10, T30, T40) erbrachten alle erst wirklich starke Leistungen, nachdem mind. 30-40 Millionen Lernpartien absolviert waren. So viele menschliche Partien gibt es nirgends. Was bei Fat Fritz gemacht wurde, war also lediglich eine Anreicherung eines selfplay-NNs (vermutlich ein spätes T30-Netz), daß eben auf zig Millionen selfplay-Partien basiert, mit ein oder ein paar Millionen Menschpartien. Welche aber sicher weniger als 10% der Gesamtmenge ausmachen. Fat Fritz hat also das selfplay-NN nur mit ein bißchen Menschenschach abgeschmeckt (oder verschmutzt, das ist eine Frage des Standpunktes).
So oder so basiert das Lernen im FatFritz NN nur zu einem sehr kleinen Bruchteil auf den Datenbanken von ChessBase, einfach weil es viel zu wenige Menschpartien gibt, um alleine daraus ein brauchbares NN aufzubauen. Natürlich überbetont ChessBase den Menschpartien-Lernfaktor in ihren Werbeartikeln, weil ja 100% des Lc0-Programmcodes nicht von Chessbase stammt und mehr als 90% des Lernmaterials und Lernprozesses nicht von Chessbase stammt. Und es so eigentlich kaum zu rechtfertigen ist, für so ein "Produkt" Geld zu verlangen. Also versucht ChessBase logischerweise von dieser eher peinlichen Tatsache stärkstmöglich abzulenken.
Es ist zwar richtig, daß Fat Fritz ein paar Millionen Menschpartien "intus" hat, aber und das muß man verstehen, das heißt eben nicht, daß Fat Fritz nun auch ein menschlich spielendes NN hat. Das wäre nur der Fall, wenn sonst keine weiteren Partien zum Lernen genutzt worden wären. Das aber ist schlicht unmöglich, weil man unterhalb von ca. 30 Millionen Partien an ein gut spielendes NN gar nicht zu denken braucht (der jetzt momentan laufende T60-Lernrun hat schon 90 Millionen Partien gespielt!). Fat Fritz spielt also bestenfalls einen Tick menschlicher als ein reines Selfplay- bzw. Zero-Netz. Mehr aber auch nicht.
Ich hoffe, ich habe jetzt keine Illusionen zerstört, aber ein menschlich spielendes NN gibt es nicht (außer im menschlichen Gehirn), und wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben, eben weil es viel zu wenige Menschpartien gibt, die man für den Lernprozess nutzen könnte. Wenn die Megabase mal 30, 40 oder 50 Millionen Partien enthalten sollte, dann kann man mal über ein wirklich menschlich spielendes NN nachdenken. Aber das dürfte noch dauern.

Um es noch zu präzisieren, hab ich nochmal auf der Chessbase-Website nachgesehen und zitiere mal: "neuronales Netzwerk, das 7.000 Stunden trainiert wurde mit Millionen selbstgespielten Partien, Top-Großmeister-Partien aus ChessBase Megabase, Computerpartien und den Endgame-Tablebases."
Fat Fritz enthält also Top Großmeister Partien aus der Megabase. Wieviele sind das? Sicher nur 1-3 Millionen, oder?
Und Fat Fritz enthält auch Computerpartien, also Engine-Partien von normalen AB-Engines (das hatte A.Silver auch mal auf talkchess geschrieben). Dennoch schreibt ChessBase natürlich nun nicht, daß Fat Fritz wie eine klassische AB-Engine spielen würde - wäre ja auch ziemlich dumm. Aber es wäre genauso wahr bzw. falsch, wie zu schreiben, Fat Fritz würde eine menschlich spielendes NN haben (was ChessBase aber auch nicht explizit sagt, das muß man fairerweise anfügen).

Also kurz defaßt: Fat Fritz ist ein Lc0 Klon, was den Programmcode angeht und das NN basiert zum allergrößten Teil auf Selpfplay-Lernpartien, wie die klassischen Lc0 NNs auch und nur zu einem kleinen Teil auf hochklassigen Menschpartien und zu einem weiteren Teil aus Engine-Engine Partien konventioneller Schachprogramme. Einfach in Ermangelung einer ausreichend großen Zahl auch nur halbwegs hochklassiger Menschpartien. Damit ist die Spielweise (bestenfalls) ein wilder Mischmasch aus Zero-, Menschen- und konventionellem Engine-Schach.
Wer es mag. Ich bin davon nicht so begeistert. Mir ist der reine Zero-Ansatz lieber.

Geändert von StPohl (16.06.2020 um 14:53 Uhr)
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