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Alt 27.06.2019, 20:44
Hartmut Hartmut ist offline
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AW: Der DGT Centaur - Die Review

Erstmal Danke an Sascha für das interessante und gute Review. Du hast natürlich recht. Der Centaur ist, was er ist. Und für den einen oder anderen mag es tatsächlich ein gutes Gerät sein. Er ist allerdings eben nicht das, was andere so versprechen. Als Zitat von der DGT Seite sei angemerkt:

"It gives you a fair chance to win, to learn and, most importantly to have fun!"

Hätte man das "to learn" weggelassen, würde ich das so unterschreiben, wenngleich es für die "faire" Gewinnchance schon den Modus "Schwierig" braucht. Aber das hast Du ja angemerkt. Die Stufe "Friendly" sollte Patzer heissen und es passt. Lernen kann man allerdings wenig. Man lernt nichts aus Partien in denen der Gegner einen gewinnen lässt. Man lernt nicht aus Partien, wenn der Computer einen nicht auf Fehler hinweist oder Alternativen aufzeigt. Allenfalls lernt man, wenn man sich während der Partie die Bewertungen des Geräts ansieht. Aber das ist ja nicht Sinn der Sache und etwas, was jeder andere Schachcomputer (OK, die meisten) auch kann.

Eine andere Aussage von DGT: "Whether you are a beginner or an experienced player, whether you are a home player or a club player, Centaur Always adapts to your level as soon as you make your first move!"

Diese Aussage erscheint mir übertrieben. Mal abgesehen davon dass es schon eine dreiste Behauptung ist, dass das System das bereits an den ersten Zügen erkennen will (bin ich also ein mieser Spieler wenn ich Sokolsky eröffne, bloß weil es nicht populär ist?), so wage ich die Aussage zumindest für einen Club Player in Zweifel zu ziehen. Im Modus "Schwierig" ist er schon ein guter Gegner, das ist sicherlich richtig. Die Fehler die er hier einstreut sind nicht mehr auf den ersten Blick offensichtlich. Und wenn ich beim Spielen den Fernseher laufen habe, würde ich vermutlich verlieren. Konzentriere ich mich aber auf die Partie, dann will ich einen Gegner, der nicht gleich 2 Züge nach einem eigenen Fehler selbst einen begeht, damit ich eine Gewinnchance kriege. Er darf den Fehler dann auch folgerichtig mal bestrafen. Die geposteten Partien gegen einige alte Geräte haben aber gezeigt, dass er genau das nicht macht. In der Partie 5 aus dem Hiarcs-Forum gegen den Roma, stand er die ganze Zeit schlechter, hat Ungenauigkeiten des Roma durch eigene Ungenauigkeiten ausgeglichen. Erst als durch einen Patzer dann ein forciertes Matt zu sehen war, hat er sich nicht mehr zurückgehalten. Das erscheint mir als Herausforderung etwas zu wenig, aber das ist meine persönliche Meinung.

Eine weitere Aussage: "Centaur is always there to challenge you, to help develop your game and to keep you sharp!"

OK, ersteres stimmt, letzteres nicht. Mein Spiel kann ich nur verbessern, wenn mir meine Fehler gezeigt werden. Genau das tut er aber nicht, sondern er baut dann selber welche ein. Wie also soll die Verbesserung des eigenen Spiels bewerkstelligt werden? "To keep you sharp" stimmt allerdings. Zumindest auf der Stufe "Schwierig" muss man schon aufpassen. Er baut zwar auch da immer wieder Fehler ein, aber deutlich subtiler als in der Stufe "Friendly". Trotzdem sind manche Fehler für erfahrenere Spieler manchmal zu deutlich. Aber gut, niemand kann erwarten dass alles perfekt ist. Schon gar nicht für diesen Preis.

"Other chess computers are made to play at the highest strength. They are impossible to beat. At lower levels they play unnatural and unhuman. They are simply no fun to play against."

Für dfie ganz neuen Geräte stimmt natürlich die erste Aussage. Ein King auf voller Geschwindigkeit, ein Revelation mit Hiarcs oder Shredder auf 1-2% Speed sind Herausforderungen, bei denen wohl wirklich die meisten scheitern werden. Bei Shredder mag es auch sein, dass einem das Spiel recht "unmenschlich" vorkommt (wie immer man das definieren will). Bei Hiarcs wirkt das Spiel meiner Ansicht nach durchaus menschlich. Nur dass ich eben hier dann deutlich einen Elo-Riesen vor mir habe und nicht mehr den netten Papa. Ob es allerdings mehr Spaß bereitet, wenn der Gegner freiwillig verliert und Geschenke verteilt wie im Friendly Modus will ich mal dahingestellt sein lassen. Mir würde es keine Freude bereiten. Aber da ist jeder anders. Ich mag auch kein Sauerkraut und andere schwören drauf. Ist halt so.

Sascha hat sicher recht. Man kann es wirklich nicht so genau einordnen, was nun die Zielgruppe sein soll. Das kommt letztlich wohl auch auf die eigenen schachlichen Ziele an.

Will ich einen ständig verfügbaen Gegner der in ungefähr auf meinem Level spielt? Definitiv Ja für schwache Spieler, eher ein Jein für stärkere Vereinsspieler (etwa ab Bezirksliga). Hierzu müsste es mehr Abstufungen geben. Ein guter Bezirksligaspieler dessen DWZ sich so um die 2000 bewegt dürfte so ziemlich das höchste sein, was die Stufe "Schwierig" zu leisten imstande ist. Die höchste Stufe hingegen dürfte zu stark sein, als dass man sich ohne Meistertitel da rantrauen darf. Aber da wäre noch viel Luft dazwischen.

Will ich einen Trainingspartner? Wenig geeignet. Dafür müsste er in der Lage sein, Fehler auch zu kommentieren, was er nicht kann. Auch fragt sich, was man mit 15 Büchern soll, wenn man die nicht gezielt auswählen kann (zumindest schweigt sich die Bedienungsanleitung dazu aus). Gerade dieser Punkt lässt mich vermuten dass der handelsübliche Centaur etwas anderes ist, als das, was mal geplant war. Ansonsten macht diese Bestückung keinen Sinn.

Will ich aus meinen Partien lernen? Auch wenig geeignet. Siehe oben. Dafür bräuchte es eine Schachlehrerfunktion, die er aber nicht hat. Gut, ich kann die Partien danach natürlich analysieren. Aber das können PC-Programme auch und ausführlicher.

Es gäbe sicher noch andere pesönliche Ziele, die man hier aufführen könnte. Einige wird der Centaur erfüllen, andere eben nicht. Aus Sammlersicht sicher ein interessantes und zumindest bisher einmaliges Gerät. Da kann ich Sascha nur aus vollstem Herzen zustimmen. Aus Benutzersicht... nix für mich. Aber ich stehe ja nicht für die Welt.
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Mein Profil beim ICCF (International Correspondence Chess Federation)
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Chessguru (27.06.2019), Egbert (27.06.2019), Mythbuster (27.06.2019)