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Alt 24.08.2022, 17:41
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AW: Der Mephisto Phoenix - mehr als "nur" ein Schachcomputer

Hallo Zusammen,

da mir nun auch ein Blick auf den kommenden Mephisto Phoenix vergönnt war, möchte ich meine ersten Eindrücke schildern. Der Blick war erst einmal auf den UCI-Bereich gerichtet.

Unserer Community muss ich mich nicht vorstellen, aber für „Mitleser“ nur ein paar Stichpunkte. Ich habe lange Zeit aktiv im Klub (hat leider nur bis zur Landesliga in unserer damaligen 1.Mannschaft gereicht) gespielt. Punktspiele in der Liga, interne und externe Turniere standen damals auf dem Programm.

Warum spreche ich diese Punkte an? Ich bin kein Sammler, sondern sehe mich als Spieler und aufgrund meiner schachlichen Vergangenheit glaube ich, die Bedürfnisse sowohl von aktiven Schachspielern und Schachcomputer-Fans zumindest zu einem gewissen Teil einschätzen zu können. So schlecht, denke ich, waren unsere bisherigen Aktivitäten (z.B. Revelation II / King Modul) in den letzten Jahren in diesem Bereich nicht.

Was hat sich Millennium denn nun genau einfallen lassen? Ist das kommende Gerät für aktive Spieler interessant? Wurde auch an Anfänger und Einsteiger gedacht? Es fallen einem etliche Fragen ein, die einem durch den Kopf schießen.

Na dann blicken wir mal… Anschnallen, wird etwas länger.

Vorab noch die Erinnerung, das Gerät befindet sich in einer laufenden Entwicklung. Meine Eindrücke beziehen sich somit auf die momentane Version. Änderungen sind bis zum Erscheinen nicht ausgeschlossen, denn an Ideen mangelt es nicht.

Was sich an UCI-Engines momentan findet (weitere folgen), hatte Sascha ja schon geschrieben. Komodo 14.1, Shredder 13.5 NNUE, Stockfish 15 und Hiarcs 14.2 (15 wird definitiv kommen).

Gut, ist ja ganz nett, aber was nützen mir solch 3000er Elo Engines, wenn ich diese nicht meinem Spiel anpassen kann? Und was ist mit der Bildschirmanzeige? Ich möchte doch ernsthafte Partien spielen können, ohne ständig auf die Hauptvariante der Engine zu schielen. Und, und, und..

Fangen wir mit der Bildschirmanzeige, den „Display Settings“ an.

Unter diesem Menüpunkt finden sich 4 Buttons, um

- Main (Hauptvariante der Engine anzeigen an / aus – also was denkt sich die Kiste gerade)
- Expert (zusätzliche Berechnungsinfos an / aus – dabei handelt es sich um den gerade untersuchten Zug + Anzahl der Stellungen)
- Hint (der erwartetet Zug an / aus - Wenn HINT deaktiviert ist, erscheint in der erwarteten Spielentwicklung ein „----“ anstelle des erwarteten Gegenzuges.)
- Book (Eröffnungsbuch mit Namen der Eröffnung anzeigen an / aus)

Je nach Geschmack, kann man sich also die Anzeigen einstellen, von ernsthaft bis volle Infos, alles vorhanden. Das Schachbrett auf dem Display ist immer vorhanden. Ebenso der Bewertungsbalken rechts neben dem Brett.

Der letzte Punkt war das Thema Eröffnungsbuch. Was sich simpel anhört, hat im praktischen Spiel so seine Tücken. Warum? Naja, spiele ich gegen einen Großmeister, wird er mich mit seinem Eröffnungswissen erschlagen. Spiele ich aber z.B. gegen einen Spieler mit einer Elo von 1500, wird sein Eröffnungswissen deutlich geringer ausfallen. Somit sollte das Gerät diese Ansätze berücksichtigen können. Hat Millennium daran gedacht? Ja, hat man.
Somit kommen wir zum nächsten Punkt: Book Settings.

Unter diesen Punkten finden sich 5 Buttons.

- Book Select (wie der Name schon sagt, hier wählt man das Eröffnungsbuch aus, welches bei Partien zur Anwendung kommen soll)
- Book (Eröffnungsbuch ein / aus – also soll das Programm ein Eröffnungsbuch benutzen)
- Random (ein Zufallsfaktor, der die gespielten Eröffnungen variiert)
- Depth (limitiert die Tiefe des Buches, d.h. wie viele Züge maximal aus den Eröffnungsbüchern gespielt werden, bis die Engine selbst rechnet. – wählbar: 2 ,4, 6, 8, 10, 12. 14. 16. 18, 20. 22, aus)
- Thresh (Limit auf die besten Buchzüge einstellen – mit Threshold Book kann man bestimmen, dass z.B. nur die 25% der besten Eröffnungen herangezogen werden. Dies limitiert die Vielfalt, bringt aber stärkere Eröffnungen hervor - wählbar: 25%, 50%, 75%, Off)

Gefällt mir ausgesprochen gut. So kann ich mir die Engine hinsichtlich Eröffnungsbuch exakt auf meine Bedürfnisse einstellen und werde nicht von einem riesigen Eröffnungswissen erschlagen.

Kommen wir zu der wichtigsten Abteilung, den Engine Settings.

Wer sich mit UCI-Engines schon einmal beschäftigt hat, der weiß, jede Engine unterstützt verschiedene Parameter. Einiges ist natürlich identisch (z.B. Level, Hash, Thread, Ponder usw.), aber es zeigen sich auch Unterschiede.

Daher zuerst die grundsätzlich identischen Auswahlmöglichkeiten, die ALLEN Engines zur Verfügung stehen:

- Ponder (an / aus – also das Rechnen der Engine, wenn der Gegner am Zug ist)
- Thread (wie viele Kerne der CPU können eingeschaltet werden – Auswahl: 1 und 2)
- Hash (die Größe der Hash Tables – 128 MB, 256 MB, 512 MB, 1024 MB)
- Clear Hash (Hash Tables löschen)
- Speed (kennen wir vom Revelation II, Prozentuale Begrenzung des Prozessors auf: 1%, 2%, 4%, 5%, 10%, 20%, 25%, 50% oder volle Möhre = 100% Leistung)

So gestaltet sich auch die Einstellung der 4 genannten Engines.

Fangen wir mit Shredder 13.5 NNUE von Stefan Meyer-Kahlen an. Shredder versteht es ausgezeichnet, das menschliche Spiel nachzustellen und lässt sich sehr flexibel anpassen. Den Stil würde ich als positionell, teilweise druckvoll beschreiben, mit Stärken im Endspiel. Taktik ist nicht zwingend die Stärke von Shredder, aber das Programm wartet immer mal wieder mit schönen taktischen Einschlägen auf, welche dann mit präzisen Königsangriffen enden. Für mich eine rundum stimmige Engine.

Auf dem Mephisto Phoenix bietet Shredder folgende Möglichkeiten:

- Elo (hiermit lässt sich die Stärke der Engine definieren)

Es stehen die bekannten Elo-Stufen OFF (kein Limit), 900, 1000, 1100. 1200, 1300, 1400, 1500, 1600, 1700, 1800, 1900, 2000, 2100, 2200, 2300, 2400, 2500, 2600, 2700, 2800 UND Adaptiv zur Verfügung.

Adaptiv bedeutet, das Programm passt sich im Laufe der Zeit an eure Spielstärke an. Nach spätestens 30 Partien findet ihr den perfekten Gegner für euer Spiel vor, d.h. Shredder passt sich genau eurer Stärke an.

Damit ihr auch seht, auf welchem Elo-Level ihr euch lt. Einschätzung von Shredder gerade befindet, zeigt euch Shredder eine Wertung an. Für das praktische Spiel bedeutet es, ihr findet am Anfang des adaptiven Spiels eine schwache Engine vor, die sich langsam immer weiter steigert, bis diese genau euer Level erreicht hat, um somit den perfekten Gegner vorzufinden. Also erfreut euch an den ersten Siegen, denn so leicht bleibt es nicht auf Dauer.

Die Nummer hört sich nett an, aber hat man es auch in der Praxis getestet? Ja, und zwar in einem größeren Schachklub. Nach ~30 Partien entsprachen die erspielten Werte fast genau den tatsächlichen Elo-Werten der Spieler. Warum fast? Weil natürlich die Spielstärke von Menschen immer Schwankungen unterworfen ist.

Als letzter Punkt findet sich „Engine Dynamic“ mit folgenden Punkten:

- Contempt (der sogenannte Verachtungsfaktor – einstellbar von -300 bis +300)

Was ist das? Der Verachtungsfaktor spiegelt die geschätzte Überlegenheit/Unterlegenheit des Programms gegenüber seinem Gegner wider. Der Verachtungsfaktor wird als Remiswert vergeben, um (frühe) Remis gegen scheinbar schwächere Gegner zu vermeiden oder Remis gegen stärkere Gegner zu bevorzugen.

Wer ein praktisches Beispiel haben möchte, der sollte sich die Geschichte zur WM 1990 in Lyon durchlesen.

https://www.schach-computer.info/wik...MCCC_Lyon_1990

Genau dieser Faktor rettet damals Mephisto den Allerwertesten und sicherte so einen weiteren WM-Titel für Hegener & Glaser.


Ok, kommen wir zur nächsten Engine: Hiarcs von Mark Uniacke. Ich denke, man muss nicht viel zu diesem fantastischen Programm sagen. Ein Pionier des Computerschachs.

Hiarcs spielt ein druckvolles, strategisches Schach, wenn man es denn möchte.

Denn den Spielstil kann man sich entsprechend aussuchen. Unter „Engine Dynamic“ finden sich folgende Punkte:

- Playing Style (Solid, Active und Aggressive)
- Combinations (True und False)
- Search Selectivität (0 – 7 einstellbar)

Auch Hiarcs bietet die Möglichkeit Elo-Stufen auszuwählen.

OFF (kein Limit), 900, 1000, 1100. 1200, 1300, 1400, 1500, 1600, 1700, 1800, 1900, 2000, 2100, 2200, 2300, 2400, 2500, 2600, 2700, 2800, 2900, 3000 stehen momentan zur Verfügung.

Ich möchte aber noch Hiarcs 15 abwarten. Mal schauen, was Mark noch einbaut.


Der nächste Kandidat: Komodo 14.1.

Von den Einstellmöglichkeiten erinnert mich Komodo an wenig an den King, bietet es doch eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Unter dem Menüpunkt „Engine Dynamic“ finden sich für Komodo folgende Punkte:

- Auto Skill (True und False – habe ich noch nicht testen können, theoretisch passt sich das Spiel damit dem Gegner an)
- Skill (Spielstärke von 0 – 25 einstellbar, wobei 25 der höchsten Spielstufe entspricht)
- Armageddon (sehr cool – Einstellungen: Off, White must win und Black must win)
- Personality (Default, Aggressive, Defensive, Active, Positional, Endgame, Beginner und Human)
- Reduction (Also wie tief Komodo sucht. Höhere „Reduktion“-Werte veranlassen Komodo, Teile des Suchbaums schneller zu reduzieren. Dies erhöht die Gesamtsuchtiefe, verpasst aber möglicherweise einige gute Züge. Einstellbar von -500 bis +50)
- Selectivität (10 – 250 einstellbar)
- King Safety (Königssicherheit 0 – 200 einstellbar - Dieser Parameter steuert, wie hoch Komodo die Königssicherheit sein soll. Je höher der Wert, desto größer sind die Auswirkungen von Angriffen auf den König in Komodos Wertung.)
- Null Move Pruning (True und False - ein aggressives Beschneiden von Zügen aus dem Suchbaum.)


Was fehlt noch? Richtig, Stockfish 15. Die Nummer 1 etlicher Ranglisten.

Wer kennt es nicht? Der Spielstil ist glasklar, vergleichbar mit dem Spiel des Weltmeisters José Raúl Capablanca. Alles wirkt einfach, logisch und spielerisch, unglaublich stark.

Folgende Möglichkeiten finden sich unter „Engine Dynamic“:

- Use NNUE (True und False, also das Neuronal Netzwerk an oder aus)
- Skill Level (Spielstufe 0 – 20)
- Elo (Elo Spielstufen von 1400, 1500, 1600, 1700, 1800, 1900, 2000, 2100, 2200, 2300, 2400, 2500, 2600, 2700, 2800 und Off)

Uff. Die Geschichte war etwas ausschweifend. Man KANN diese Funktionen alle nutzen, man MUSS es aber nicht.

Noch Luft, um weiterzulesen? Wir sind noch lange nicht am Ende.

Aufgrund dieser Vielzahl an möglichen Einstellungen, wäre es sehr umständlich, jedes Mal erneut sich seine Wunschkombi zu basteln.

Dafür hat sich Millennium das Comfort Menü einfallen lassen.




Hier sind einige Buttons vordefiniert. Play&Win, Friendly, Hobby usw. Bedeutet nichts anderes, als das gewisse Punkte wie z.B. Elo-Stärke, Buchtiefe, Hashgröße usw. voreingestellt sind, um dem Einsteiger den Zugang zu dem Gerät zu erleichtern.

Somit tippt man einfach einen vordefinierten Button an, lädt die Auswahl und spielt darauf los.
Was sich hinter dem entsprechend vordefinierten Button genau verbirgt, kann man sich per Druck auf den Button „Show ACTV“ ansehen.


Wer gerne seine eigenen Einstellungen hinterlegen möchte, um nicht jedes Mal nach einem Neustart mit dem Gefummel anzufangen, der kann per „SAVE PROF“ eigene Profile anlegen, die dann dauerhaft im Comfort Menü zu finden sind. Man speichert aber nicht nur die Engine-Einstellungen, sondern auch Spielstufe, Bucheinstellungen usw. Natürlich lassen sich diese auch wieder löschen.


Welche Modi stehen zur Auswahl?

- Human – Computer
- Human - Analyse
- Human – Human
- New Game (wird auch durch Aufstellen der Grundstellung erreicht, wobei die Aufstellung Weiß von oben oder unten automatisch erkannt wird)
- Position (Einlesen einer Stellung auf dem Brett)


Wie sieht es mit Spielstufen aus? Gibt es in ausreichendem Maße.

- Sec per Move
- Tournament
- Min per Game
- Ply

Aber, das ist ein Kritikpunkt von mir, die Stufen sind leider nicht frei definierbar, sondern vordefiniert. Zwar sind alle bekannten Varianten vorhanden, aber mir hätte eine freie Einstellung besser gefallen.

Irgendwas muss ich ja auch mal beklagen. Schauen wir mal, kommt vielleicht in einem späteren Update.

Dann kommen wir zu den System Settings.

Hier können grundlegende Einstellung, Abfragen etc. durchgeführt werden.

Folgende Buttons finden sich:

- Sound (an / aus)
- Volume (Sound Lautstärke, 25, 50, 75, 100)
- Board (Kabel links oder rechts)
- Board LED (Helligkeit der LEDs: 25, 50, 75, 100)
- Select Version (Auswahl der Programmversion, nach einem Update z.B.)
- Update (für Updates per USB-Stick oder per WLAN)
- Langua (Auswahl der Sprache: Englisch, Deutsch, Französisch, Niederländisch und Spanisch)
- Reset System (komplette Rücksetzung des Systems in den Auslieferungszustand)
- Wifi (Verbinden mit dem hoffentlich vorhandenen WLAN)
- PGN USB (Export der gespielten Partie)
- Diag System (Systemdiagnose-Datei erstellen)
- Info System (Aktuelle Informationen zum System einsehen)

Screen Play

Auf dem Hauptbildschirm finden sich noch die bereits durch Sascha gezeigten Buttons: Move (nun zieh doch endlich), Hint (Zugvorschlag Partie bzw. Buch) und Back (Zugrücknahme – wobei man eine Zugrücknahme auch durch die direkte Rücknahme auf dem Brett erreichen kann).


Tja, fehlt euch etwas? Nur bezogen auf die UCI-Seite. Das Gerät bietet bekanntlich noch einen Retro-Modus, dazu kommen wir aber erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Mir persönlich fehlt der King. Gerade aufgrund seiner Variabilität und Flexibilität. Aber momentan hat Johan leider nicht die Zeit, um seine Engine umzustricken. Sehr schade, da der King für mich ein Stück Zeitgeschichte darstellt und seinen würdigen Platz an der Tafel der neuen Engines in diesem Gerät verdient hätte.

Mein erster Eindruck des neuartigen Schachcomputers ist sehr positiv. Die Native-Engines kann ich mir nach meinem Geschmack, auf meinen Bedarf, auf meine Spielstärke komplett frei gestalten und einstellen. Und mit der Retro-Geschichte fehlt mir nicht viel zum perfekten Schachcomputer.

Ein paar Ideen haben wir noch eingebracht, die aus Sicht eines Spielers noch verbessert werden könnten. Schauen wir, was noch bis zum Start umgesetzt werden kann.

Aber der Weg hat erst begonnen, es kommt noch mehr.

Gruß
Micha

Geändert von Chessguru (01.09.2022 um 21:17 Uhr)
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